Was wäre Werbung ohne Bilder? Eine erfolgreiche Transkreation muss die besonderen Bild-Text-Beziehungen berücksichtigen. Was dabei schiefgehen kann und wie es besser geht, erfahren Sie in diesem Artikel.
Werbung in anderen Kulturen: Kenne deinen Kunden!
Werbung dient nicht allein dem Verkauf eines Produkts oder der Bekanntmachung einer Dienstleistung. Sie ist auch maßgeblich für den Aufbau und Erhalt des Images eines Unternehmens verantwortlich – und das im Rahmen der Globalisierung über Landesgrenzen hinweg.
Für international agierende Unternehmen sollte es im ureigenen Interesse sein, die Marktanforderungen und Bedürfnisse der Konsumenten in den einzelnen Ländern genau zu kennen, um erfolgreiche Werbekampagnen im Ausland zu schalten.
Die kulturelle Adaption bzw. Lokalisierung von PR und Werbung (auch Transkreation genannt) gehört daher in die Hände von Marketingspezialisten. Bei mehrsprachigen Werbekampagnen kommt in diesem Zusammenhang Übersetzern eine tragende Rolle zu.
In den vergangenen Jahren hat sich hier ein neuer Berufszweig entwickelt. Transkreativtexter oder auch Transkreatoren haben sich auf diese Aufgabe spezialisiert. Sie müssen neben ihrer Sprachkompetenz über ein besonderes stilistisches Geschick verfügen, um in der Zielsprache ansprechende und passgenaue Werbebotschaften zu formulieren.
Unterschätzte Gefahren in der internationalen Werbung
Untersuchungen zur Werbewirkungsforschung zeigen, dass personalisierte Werbung erfolgreicher ist, wenn individuelle, adressatengerechte Vertextungsstrategien gewählt werden (vgl. z. B. Stein 2011 zu Vertextungsstrategien in der Werbung).
Im Bereich der Online-Werbung wurde dieser Aspekt schon längst erkannt, nämlich wenn vom sogenannten „Targeting“ (Weber/Fahr 2013: 347) die Rede ist, also Zielgruppen anhand des Nutzungsverhaltens im Internet eingegrenzt und ihnen entsprechend ihrer Vorlieben passende Werbung angezeigt wird.
Im Printbereich hingegen zeigen Untersuchungen, dass vor allem internationale Werbekampagnen oft noch immer standardisiert oder nur in einem sehr geringen Maße an die Bedürfnisse und Gepflogenheiten der jeweiligen Zielkultur angepasst werden (vgl. z. B. Friedrich 2015: 83-85; Smyreck 2017: 91-93; Wells et al. 2003: 511).
Aber hier lauert eine große Gefahr: Wird die Werbebotschaft in der Zielkultur anders oder nicht verstanden, wird das Produkt zum Flopp oder schlimmstenfalls zum Gespött einer ganzen Nation. (Lesen Sie hier mehr über gute und schlechte Beispiele übersetzter Werbetexte.)
Falls Werbekommunikate in eine andere Sprache übertragen werden, wird zudem der Aufwand hierfür noch häufig unterschätzt – von Unternehmen selbst, aber auch von Übersetzern. Denn:
In neun von zehn Fällen ist anstatt einer reinen Übersetzung eigentlich eine komplette Neubearbeitung des betreffenden Marketingtextes erforderlich. Dann ist also eine Transkreation gefragt.
Die meisten Werbetexte müssen für die Zielkultur umfangreich adaptiert werden, sei es aufgrund verschiedener Gewohnheiten bei der Nutzung eines Produkts oder aus anderen Gründen.
Die Bild-Text-Verknüpfung als Übersetzungsproblem bei der Transkreation
Da ein effektvoller Werbetext durch eine Vielzahl komplex miteinander verwobener Wirkungsmechanismen entsteht (vgl. dazu z. B. Smyreck 2019; Smyreck 2017: 131-132), kann eine erfolgreiche Übersetzung von Werbung in eine andere Sprache und die Anpassung an einen neuen Kulturkreis nur durch eine umfassende Analyse des jeweiligen Ausgangstextes unter besonderer Beachtung der Ausgangs- und Zielsituation gewährleistet werden.
So stellen beispielsweise auch komplexe Bild-Text-Verknüpfungen und Formen der Ambiguität von Werbeaussagen häufig Herausforderungen und Übersetzungsprobleme dar, welche sich aus Sicht der Linguistik und insbesondere der Bildsemiotik gut beschreiben lassen.
Schon in den 90er-Jahren hat zum Beispiel Stöckl auf die besonderen Verknüpfungsformen von Bild und Text in der Printwerbung hingewiesen. Stöckl (1997: 111) schreibt, dass eine durchdachte Kombination von Werbebild und Text „die persuasive Struktur des Gesamttextes effektiviert […], indem sie eine Erhöhung des Überredungspotentials fördert“. In einigen Fällen ist die Wahrnehmung des Textes ihm zufolge sogar wesentlich vom Bild abhängig (vgl. ebd.: 119).
Werbebilder können nämlich laut Stöckl „die Textbedeutung ergänzen, modifizieren, präzisieren und umdeuten“ (ebd.: 120). Aufgrund der von ihm erwähnten wechselseitigen Ergänzung bzw. Determinierung von Bild und Text ist zu erwarten, dass sich speziell in diesen Fällen vermehrt Übersetzungsprobleme bei PR- und Werbetexten ergeben. Daher ist die Wahl der passenden Strategien beim Übersetzen von Werbung entscheidend.
Folgen schlechter Bild-Text-Übersetzungen in der Werbung
Schauen wir uns einmal ein paar Beispiele aus der Praxis an. Dazu habe ich eine Werbebroschüre aus dem Bereich Fototechnik analysiert, welche im Original auf Englisch erschienen ist und ins Deutsche übersetzt wurde (im Folgenden durch das nachstehende Kürzel EN bzw. DE gekennzeichnet). In dieser Imagebroschüre wird für die Spiegelreflexkamera Canon EOS 1200D geworben.
Eine intelligente Bild-Text-Verknüpfung ist eines der zentralen Gestaltungsmittel der Werbetreibenden, um Werbebotschaften eindrucksvoll und nachhaltig im Gedächtnis potenzieller Kunden zu verankern. Auch in der untersuchten Werbebroschüre werden Bilder mit den Werbeaussagen verknüpft und teilweise sogar mit dem jeweiligen Claim für das Produkt oder mit dem Slogan des Unternehmens kombiniert.
Dies führt im Übersetzungsprozess zu besonderen Problemen, wie die folgenden zwei Beispiele verdeutlichen, die aus meinem im Jahr 2017 erschienenen Buch „Werbe(fach)sprache und Übersetzen. Analyse, Vergleich und Übersetzbarkeit deutscher und englischer Werbetexte“ stammen.
In der Produktbroschüre Canon EOS 1200D EN werden auf der Titelseite zwei Personen abgebildet, die miteinander interagieren, in dem eine Frau die andere auf dem Rücken trägt und sich beide Personen damit quasi umarmen (s. Abb. 1). Dazu wirbt das Unternehmen mit dem Claim „Embrace every opportunity“. Durch die Verknüpfung von Bild und Text (embrace = umarmen) entsteht ein semantisches Konzept; Bild und Text verschmelzen zu einer sinnstiftenden Einheit.
Die deutsche Übersetzung des Claims in der Werbebroschüre Canon EOS 1200D DE lautet „Jede Chance wahrnehmen“. Das dazugehörige Werbebild wurde jedoch nicht ersetzt, wodurch das kreative Spiel mit Wort und Bild im Ausgangstext in der Übersetzung leider verloren geht.
Abbildung 1: Canon Europa N.V. (2014): Canon EOS 1200D, S. 1, Original (links) und Übersetzung (rechts)
Im zweiten Beispiel (s. Abb. 2) wird eine Frau abgebildet, die Gitarre spielt. Der dazugehörige Textblock trägt im englischen Original die Überschrift „Creativity unplugged“. In diesem Fall wurde das Lexem unplugged, das aus einer in Bezug auf Fotografie semantisch nicht angrenzenden Domäne stammt, metonymisch gebraucht, um im Wechselspiel von Bild und Text neue Produktzusammenhänge zu schaffen.
Es entsteht ein neues Konzept (auch Blend genannt), da die ursprüngliche Bedeutung des Wortes (unplugged = akustische Musik) verschoben und auf creativity übertragen wird. Somit werden grenzenlose, kreative Möglichkeiten der Produktverwendung suggeriert.
In der deutschsprachigen Version der Werbebroschüre wurde die Überschrift mit „Kreativität ohne Ende“ übersetzt. Die gedankliche Einheit aus Text und Bild und damit die Bedeutung für die Werbebotschaft im Ausgangstext geht aber auch hier im Zieltext verloren, denn der Bezug zur Gitarre spielenden Person im Bild fehlt.
Abbildung 2: Canon Europa N.V. (2014): Canon EOS 1200D, S. 11, Original (links) und Übersetzung (rechts)
Eine mögliche Erklärung für unpassende Bild-Text-Beziehungen in der Übersetzung von Werbung ist, dass das zum Text gehörende Bildmaterial beim Übersetzungsprozess nicht vorlag. Es ist daher unabdingbar, Übersetzern möglichst viel Referenzmaterial zur Verfügung zu stellen, damit eine erfolgreiche Transkreation gelingen kann.
Diese zwei Beispiele verdeutlichen, wie unpassende Bild-Text-Verknüpfungen im Zieltext zu einer Verschlechterung des Gesamteindrucks und der Dynamik von Werbetexten führen können. Im Ergebnis sind dadurch auch Werbebotschaften insgesamt weniger wirkungsvoll.
Harmonieren nonverbale Elemente im Zieltext nicht mit den schriftlichen Inhalten, kann im Rahmen einer Transkreation sogar eine komplette Neugestaltung des Werbekommunikats erforderlich sein.
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Literaturverzeichnis
Canon Europa N.V. (2014): „Canon EOS 1200D.“ Original, englische Ausgabe: http://canon.sdlmedia.com/Distributions/?o=c3641125-f033-4fbe-beb3-beff9050965e (11.01.2016). Übersetzung, deutsche Ausgabe: http://www.brochures.canon-europe.com/getFile.php?productid=9009&languageid=6 (11.01.2016).
Friedrich, Silke (2015): Deutsch- und englischsprachige Werbung. Textpragmatik, Medialität, Kulturspezifik. Forum für Fachsprachen-Forschung 123. Berlin: Frank & Timme.
Smyreck, Ralph (2017): Werbe(fach)sprache und Übersetzen. Analyse, Vergleich und Übersetzbarkeit deutscher und englischer Werbetexte. Angewandte Linguistik aus interdisziplinärer Sicht 49. Hamburg: Verlag Dr. Kovač.
Smyreck, Ralph (2019): „Wenn das Produkt zum Flirt wird – multimodale Textualität am Beispiel von In-App-Werbung bei Tinder.“ In: Lebende Sprachen. Zeitschrift für interlinguale und interkulturelle Kommunikation 64 (2), S. 435–462. https://doi.org/10.1515/les-2019-0022.
Stein, Stephan (2011): „Strategien der Vertextung in Werbetexten.“ In: Zeitschrift für angewandte Linguistik 54, S. 33–56.
Stöckl, Hartmut (1997): Werbung in Wort und Bild. Textstil und Semiotik englischsprachiger Anzeigenwerbung. Europäische Hochschulschriften Reihe 14, Angelsächsische Sprache und Literatur 336. Frankfurt: Peter Lang.
Weber, Patrick / Fahr, Andreas (2013): „Werbekommunikation. Werbewirkungsforschung als angewandte Persuasionsforschung.“ In: Schweiger, Wolfgang / Fahr, Andreas (Hg.): Handbuch Medienwirkungsforschung. Wiesbaden: Springer, S. 333–352.
Wells, William / Burnett, John / Moriarty, Sandra Ernst (2003): Advertising. Principles and Practice. Upper Saddle River, NJ: Prentice Hall.
Wer schreibt hier? Mein Name ist Ralph Smyreck, ich bin freiberuflicher Fachübersetzer, Dolmetscher, Transkreativtexter und Lektor für die Sprachen Englisch, Dänisch, Französisch und Deutsch in Leipzig. Ich unterstütze Unternehmen, NGOs und Einzelkunden weltweit in Sachen interkultureller Kommunikation. In diesem Blog berichte ich über interessante Themen rund um den Arbeitsalltag eines Übersetzers. Gerne können Sie mich kontaktieren, wenn Sie Fragen zu meiner Person oder meinen Sprachdienstleistungen haben. Auch über Rückmeldungen und Themenvorschläge für meinen Übersetzer-Blog freue ich mich.