Wer viel in der Welt umherreist und im Ausland eine Zeitschrift in die Hand nimmt oder den Fernseher anstellt, dem wird vielleicht auffallen, dass in verschiedenen Ländern für ein und dasselbe Produkt unterschiedlich geworben wird. Als Beispiel hierfür nennen Wells et al. (2003:525) die unterschiedlichen Marketingstrategien der Kaffeehauskette Starbucks: In Japan eröffnete das Unternehmen seine ersten Geschäfte „as a daytime meeting place for business people and an evening place for socializing“, in vielen anderen Ländern oder Regionen, z. B. auf Hawaii, dagegen „as a place to relax, any time of the day or night“. Für die unterschiedlichen Vermarktungsansätze werden dann auch unterschiedliche Vermarktungsstrategien benötigt.
Denn wenn Werbung nicht an die Lebenswirklichkeit der Menschen vor Ort angepasst wird, laufen Unternehmen mit ihren Werbekampagnen Gefahr, im Zielland nicht verstanden zu werden. Eine solche Werbung wird sich für Menschen im Zielland fremd anfühlen, da sie es entweder nicht gewohnt sind, in dieser Form beworben zu werden oder weil die Inhalte der Werbeanzeige mit den kulturellen Werten und der Denkweise der Menschen im Zielland nicht übereinstimmen.
Keine Lokalisierung - kein Werbeerfolg
Was kann passieren, wenn Werbung nicht an das jeweilige Zielland angepasst wird? Schauen wir uns zur Verdeutlichung folgendes Werbevideo an:
Diese Werbeanzeige wurde mir in der Timeline von Facebook in Deutschland angezeigt. Sie ist ein schönes Beispiel für kulturelle Fauxpas in der internationalen Werbung. Im Video wird eine Analogie zwischen der Wahl des Verkehrsmittels und der Benutzung von Wörterbüchern angestellt.
Man merkt schnell, dass die Werbetreibenden aus einem Land mit autozentriertem Weltbild zu stammen scheinen. Im Video wird behauptet, das Auto sei gegenüber dem Fahrrad schneller, sicherer und bequemer. Ich bin mir sicher, dass viele potenzielle Kunden, die diese Werbung in europäischen Ländern (z. B. Dänemark oder die Niederlande) auf Facebook sehen, in diesem Punkt widersprechen würden. Zumal zu Beginn der Werbeanzeige auch mit Bildszenen eines regen Fahrradverkehrs geworben wird.
Das Unternehmen und das beworbene Produkt werden somit bereits in ein schlechtes Licht gerückt und die Chancen des Unternehmens, das Produkt in bestimmten Ländern zu verkaufen, sinken durch eine solch inadäquate Marketingmaßnahme drastisch.
Es ist also wichtig, dass Werbung im Ausland an die Kultur und Mentalität der Menschen vor Ort individuell angepasst wird. Sonst besteht die Gefahr, dass die Werbung vom Zielpublikum abgelehnt wird. Worauf bei der Lokalisierung von Werbung generell geachtet werden sollte, beschreibe ich zum Beispiel in diesem Blog-Artikel.
Textsortenkonventionen und Erwartungshaltung
Wir wissen aber auch, dass sich Textsortenkonventionen von Kultur zu Kultur unterscheiden, dieselbe Textsorte also in Kultur A im Vergleich zu Kultur B unterschiedlich aussehen und aufgebaut sein kann. Das liegt laut Crijns (2014:56) vor allem an der Erwartungshaltung an die Gestaltung von Textsortenträgern in der jeweiligen Kulturgemeinschaft.
Schon Abweichungen beim gewohnten Layout einer Textsorte können in der Zielkultur zu Verwirrung und Ablehnung des Textes führen. Auch bei der Gestaltung von Werbung ist das zu berücksichtigen.
Oft ist aber auch eine Überarbeitung des Textes auf inhaltlicher Ebene notwendig, um die Werbebotschaft passend für eine andere Kultur zu verschriftlichen. Manchmal müssen dafür in der Übersetzung sogar andere Produkteigenschaften genannt werden, als das im Original der Fall war. Denn was für Kultur A wichtig ist, ist nicht unbedingt für Kultur B wichtig. Und was für Kultur A keiner umfangreichen Erklärung bedarf, muss für das Verständnis in Kultur B unter Umständen mit mehr Hintergrundinformationen unterfüttert werden.
Zahlreiche Beispiele dafür findet man etwa in der Tourismusbranche. Jettmarová et al. (1997:189) untersuchen originale und übersetzte Broschüren, die sich an Touristen in Lettland wenden. Während der Ferienort in der Broschüre auf Lettisch mit den vermeintlich typischen Freizeitaktivitäten der Einheimischen beworben wird (sich sonnen, baden, angeln, Rad fahren usw.), sind in der englischsprachigen Version dieser Broschüre einige Aktivitäten nicht mehr aufgeführt. Das Baden in der Sonne wurde beispielsweise entfernt, was den Autorinnen zufolge damit zusammenhängen könnte, dass dies für Reisende aus wärmeren Ländern angesichts der klimatischen Bedingungen in Lettland wohl keine große Verlockung darstellt. Andere Beschäftigungen wurden hingegen unter der Vermutung, dass die englischsprachige Zielgruppe diese passender finden könnte, ergänzt. So liest man in der Übersetzung nun vom Vögel beobachten oder dem Schließen neuer Freundschaften als Anregungen für den Zeitvertreib im lettischen Ferienort.
Rationale oder emotionale Kaufanreize in der Fachwerbung - kulturelle Unterschiede
Dabei spielt es in der Werbung auch immer eine Rolle, ob die Zielgruppe eher auf emotionale oder aber auf rationale Kaufanreize reagiert. Die Werbewirkungsforschung hat herausgefunden, dass Menschen unterschiedlicher Kulturen auf unterschiedliche Stimuli in der Werbung reagieren. Das sollte besonders dann beachtet werden, wenn ein Unternehmen Produkte in einem anderen Land vermarkten will.
Smith und Klein-Braley (1997:178) schlagen daher beispielsweise für die Anpassung deutscher und englischer Werbematerialien für den jeweils anderen Kulturkreis Folgendes vor:
„We can predict that humour might have to be added to an advertising campaign presenting a German product to the English market and that more, and possibly more precise information might need to be added for English product being introduced to Germany. In other words, the approach would generally focus on an emotional/affective appeal for the English market and on an informational/cognitive appeal for the German market.“
Die Wahl zwischen Emotio und Ratio in der Werbung ist aber natürlich auch vom Produkt selbst und weiteren Faktoren abhängig. Daher finden wir auch genügend Beispiele für Werbung im deutschsprachigen Raum, in der es kaum um Fakten geht, sondern ganz allein auf emotionale Reize gesetzt wird, zum Beispiel in der Werbung für Parfüm oder Kosmetik.
Was aber Smith und Klein-Braley für die Werbung für Konsumgüter festhalten, lässt sich beispielsweise durch die Analyse von Originalen und Übersetzungen auch in der Fachwerbung finden. Schauen wir uns dazu ein Beispiel aus meiner Dissertation zum Thema Fachwerbung im Kulturvergleich an (vgl. Smyreck 2021:275f). Es handelt sich um die folgenden vier Auszüge aus einer Produktbroschüre des Unternehmens GE Healthcare zur Vorstellung eines Mammographiegeräts. Diese Broschüre wurde im Original auf Englisch verfasst, später ins Deutsche übersetzt und richtet sich an Health Care Professionals:
Während den Fachleuten im Original besonders die Perspektive der Patientin auf emotionalisierende Weise beschrieben wird (Abbildungen 1 und 2), werden in der Übersetzung viel mehr fachliche Details zum Produkt selbst angeführt. Der Textumfang wird deutlich erhöht und vor allem zum Ende hin Druck auf die Klinik aufgebaut (Abbildungen 3 und 4).
In der Übersetzung wird damit hauptsächlich betont, dass das Produkt helfen kann, gegenüber der Konkurrenz einen Wettbewerbsvorteil auf dem Gesundheitsmarkt zu erlangen (rationale Verkaufsargumente), während im Original vor allem das Wohl der Patientin im Vordergrund steht (emotionale Verkaufsargumente).
Damit hat das Unternehmen das umgesetzt, was Smith und Klein-Braley vorschlagen. Die betreffenden Stellen in dieser Produktbroschüre wurden nicht bloß übersetzt. Es wurden zwei völlig unterschiedliche Vermarktungsstrategien in Original und Übersetzung gewählt und damit die abweichenden Erwartungen der jeweiligen Zielgruppe an den Inhalt des Textes versucht zu erfüllen.
Transkreation als Weg zum Erfolg
Das Beispiel oben zeigt: Eine 1-zu-1-Übersetzung ist bei Imagebroschüren und anderen Werbetexten meist nicht praktikabel. Hätte sich die Übersetzung im Wortlaut zu stark am Ausgangstext orientiert, könnte sie beim Zielpublikum auf Ablehnung stoßen, da deutschsprachige Fachleute es vielleicht nicht gewohnt sind, derart emotionalisierte Texte in Produktbroschüren zu lesen und eher technische Fakten und Zahlen erwarten.
Im Rahmen einer Transkreation sollten solche Anpassungen beim Übersetzen von PR- und Werbetexten umgesetzt werden. Eine freie, kreative Übersetzung soll die Sicht- und Denkweise der Menschen im Zielland berücksichtigen.
Der Erfolg von Unternehmen im Ausland hängt maßgeblich von der Lokalisierung und Adaption ihrer Werbetexte ab. Hierfür können sie sich professionelle Hilfe bei speziell ausgebildeten Übersetzern, sogenannten Transkreativtextern oder Transkreatoren, suchen.
Sie haben dazu Fragen oder wünschen ein Angebot für die Lokalisierung Ihrer Werbematerialien für das Ausland? Kontaktieren Sie mich. Gerne stehe ich Ihnen hierfür zur Verfügung.
Literatur
Crijns, Rogier (2014): „Ausformungen der Kürze in der Arzneimittelwerbung. Ratschläge in Anzeigen rezeptfreier Arzneimittel zweier Apothekerzeitschriften (Deutschland/Niederlande) – ein kontrastiver Vergleich“. Mitteilungen des Regensburger Verbunds für Werbeforschung – RVW 2.2014, 55–69.
GE Healthcare GmbH (2016): „Senographe PristinaTM“.
Jettmarová, Zuzana / Piotrowska, Maria / Zauberga, Ieva (1997): „New advertising markets as target areas for translation“. Snell-Hornby, Mary / Jettmarová, Zuzana / Kaindl, Klaus (1997) (Hrsg.): Translation as intercultural communication. Selected papers from the EST Congress, Prague 1995. Benjamins translation library 20. Amsterdam: Benjamins, 185–194.
Smith, Veronica / Klein-Braley, Christine (1997): „Advertising - A five-stage strategy for translation“. Snell-Hornby, Mary / Jettmarová, Zuzana / Kaindl, Klaus (1997) (Hrsg.): Translation as intercultural communication. Selected papers from the EST Congress, Prague 1995. Benjamins translation library 20. Amsterdam: Benjamins, 173–184.
Smyreck, Ralph (2021): Fachwerbung im Kulturvergleich. Beispielhafte Untersuchungen deutscher und englischer Produktbroschüren aus dem Bereich Medizintechnik. Norderstedt: BoD – Books on Demand.
Wells, William / Burnett, John / Moriarty, Sandra Ernst (2003): Advertising. Principles and practice. Upper Saddle River: Prentice Hall.
Wer schreibt hier? Mein Name ist Ralph Smyreck, ich bin freiberuflicher Fachübersetzer, Transkreativtexter und Lektor für die Sprachen Englisch, Dänisch, Französisch und Deutsch in Leipzig. Ich unterstütze Unternehmen, NGOs und Einzelkunden weltweit in Sachen interkultureller Kommunikation. In diesem Blog berichte ich über interessante Themen rund um den Arbeitsalltag eines Übersetzers. Gerne können Sie mich kontaktieren, wenn Sie Fragen zu meiner Person oder meinen Sprachdienstleistungen haben. Auch über Rückmeldungen und Themenvorschläge für meinen Übersetzer-Blog freue ich mich.
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